Faksimile aus dem Beschluss des OGH

OBERSTER GERICHTSHOF bestätigt Journalist Glöckel

Oberster Gerichtshof der Republik ÖsterreichAm 3. April 2005 veröffentlichten wir eine Exklusivreportage in der wir den Nachweis erbrachten, daß ausgerechnet im Gedenkjahr 2005 Millionen Medienkonsumenten falsche Fotos zum Konzentrationslager Auschwitz und Auschwitz/Birkenau vor Augen geführt bekamen. Der gewerbsmäßige Vertrieb der reportierten Fotos erfolgte sowohl von akg-Images als auch vom SV-Bilderdienst des DIZ Dokumentations- und Informationszentrum München (ein Unternehmen der Mediengruppe Süddeutscher Verlag). Als Folge dieser Reportage wurde gegen den Chefredakteur und Medieninhaber, Walter Egon Glöckel, von der DIZ München GmbH Klage und zusätzlich ein Antrag auf einstweilige Verfügung am Handelsgericht Wien eingebracht (Streitwert 35.000.- €). Das Handelgericht Wien lehnte den Antrag des Klägers auf einstweilige Verfügung ab, die den Glöckel (vorm. muenchnernotizen) zwingen sollte, den Inhalt der Reportage abzuändern und Streichungen vorzunehmen. Das Handelsgericht in seinem Urteil:

Die inhaltlichen Behauptungen, die der Beklagte bezüglich der Echtheit der Fotos der Klägerin aufstellte, zeigten sich nach einer internen Prüfung des Bildmaterials durch die Klägerin als richtig. Der festgestellt Sachverhalt ergibt sich widerspruchsfrei aus den vorgelegten Bescheinigungsmitteln.

Der Kläger legte gegen dieses Urteil Rekurs ein und das Oberlandesgericht Wien, stimmte dann in seiner Entscheidung in einem Punkt dem Rekurs zu. Wir waren dadurch gezwungen, erstmalig seit 6-jährigen Bestehens, Änderungen an Veröffentlichungen vorzunehmen. Jedoch stützte sich das Oberlandesgericht Wien in seiner Begründung auf einen wesentlichen Punkt, der seitens Der Glöckel gar nicht publiziert wurde, nämlich, daß dem Kläger in den Veröffentlichungen der wissentliche Verkauf von falschen Fotos zum Holocaust im Konzentrationslager Auschwitz unterstellt wurde. Glöckel, vertreten durch Medienanwalt Dr. Albrecht Haller, brachte darauf das zum Artikel Rechtsmittel des außerordentlichen Revisionsrekurses am Obersten Gerichtshof der Republik Österreich ein.

Unter der Aktenzahl 4 Ob 71/06d vom 20. Juni 2006 erging folgender Beschluß des Obersten Gerichtshofs (OGH) – (Auszüge):

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DIZ Dokumentations- und Informationszentrum München GmbH, München, Sendlinger Straße 8, Deutschland, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Walter Egon Glöckel, Journalist, Hainburg an der Donau, Landstraße 6, vertreten durch Dr. Albrecht Haller, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, wegen Unterlassung (Streitwert 35.000 EUR), über den Revisionsrekurs des Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 21. Februar 2006, GZ 1 R 219/05s-19, mit welchem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 16. August 2005, GZ 18 Cg 69/05v-9, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, den Beschluss gefasst: Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss, der in seinem bestätigenden Teil rechtskräftig geworden ist, wird im Übrigen dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts zur Gänze wiederhergestellt wird. Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 2.464,02 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 410,67 EUR Ust) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

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Der gegen den abändernden Teil dieses Beschlusses erhobene Revisionsrekurs des Beklagten ist zulässig, weil der Vorwurf der Geschäftemacherei mit dem Holocaust Bedeutung über den Einzelfall hinaus hat. Er ist auch berechtigt.

4.1. Nach Auffassung des Rekursgerichts wirft der Beklagte der Klägerin das bewusste Verbreiten nachgestellter Fotos vor. Diese Auffassung wird nun auch von der Klägerin vertreten, in erster Instanz hatte sie sich noch nicht darauf gestützt. Der Beklagte müsste somit nachweisen, dass die Klägerin gewusst hatte, dass die strittigen Fotos nach Kriegsende nachgestellt worden waren. Für den Beklagten besteht der Tatsachenkern demgegenüber nur in der – wahren – Behauptung, dass die Klägerin mit echten und nachgestellten Holocaust-Fotos gut verdiene.

4.3. Im konkreten Fall hat das Rekursgericht aber seinen Beurteilungsspielraum überschritten. Ein ausdrücklicher Vorwurf der wissentlichen Vermarktung findet sich in keinem der beiden Artikel. Er lässt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang ableiten: Der Beklagte wendet sich im ersten Artikel zunächst gegen die Vermarktung von Holocaust-Bildern als solche. Dann behauptet er, dass einige dieser Bilder nachgestellt seien, ohne dass dies dokumentiert worden wäre. Dem Nachweis dieses Umstands widmet er den Hauptteil seiner Ausführungen. Darauf folgt – zunächst ohne Differenzierung zwischen Archivdienstleistern und Medien – der Vorwurf mangelnder Sorgfalt. Zuletzt wendet sich der Beklagte speziell gegen Journalisten, die die Echtheit der Fotos nicht nachgeprüft haben. Der zweite Artikel stellt im Wesentlichen die durch den ersten Beitrag ausgelöste Kontroverse mit der Klägerin dar.

Der Beklagte macht der Klägerin zwar subjektive Vorwürfe. Diese Vorwürfe beziehen sich aber zunächst auf das Handeln mit Holocaust-Bildern als solches. Schon das ist im Gesamtzusammenhang als „Geschäftemacherei“ zu verstehen. Der zweite subjektive Vorwurf ist mangelnde Sorgfalt in Bezug auf nachgestellte Bilder. Damit wird die Geschäftemacherei „verantwortungslos“. Für beides wird als Motiv „Profitsucht“ unterstellt. Daraus ergibt sich aber bei ungezwungener Auslegung noch nicht der konkrete – noch viel schwerer wiegende – Vorwurf, die Klägerin habe vom Nachstellen der Fotos gewusst.

4.4. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass einzelne Leser aus den Artikeln – wie das Rekursgericht – (auch) den Vorwurf der Wissentlichkeit ableiten. Das allein kann aber noch nicht ausreichen, den für die Anwendung von § 1330 ABGB relevanten Tatsachenkern so weit zu ziehen. Denn auch die Anwendung der Unklarheitenregel (RIS-Jusitz RS0079648) ist am Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung zu messen. Liegt die Annahme eines bestimmten Tatsachenkerns nahe, der – wie hier – wahr ist (unten 5.) und die damit verbundenen Werturteile als nicht exzessiv rechtfertigt (unten 6.), so muss die entfernte Möglichkeit einer die Klägerin noch stärker belastenden Deutung unbeachtlich bleiben. Wenn auch entfernte Deutungsvarianten relevant wären, würde das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in unzulässiger Weise eingeschränkt.

5. Relevanter Tatsachenkern ist somit die Behauptung, die Klägerin verdiene an der Vermarktung von echten und nachgestellten Holocaust-Bildern. Die Klägerin hat das letztlich nicht bestritten. Sie führt schon in der Klage aus, dass es bei den Lizenzentgelten keinen Unterschied zwischen Holocaust- und anderen Fotos gebe. Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat aber eine Mitarbeiterin der Klägerin für die Nutzung von Fotos – abhängig von Art und Dauer – ein Entgelt von bis zu 100.000 EUR genannt. Damit steht fest, dass auch Holocaust-Bilder einen solchen Preis haben können und von der Klägerin somit durchaus gewinnbringend vermarktet werden. Dass die konkrete Lizenz für das Onlinemagazin des Beklagten wesentlich günstiger gewesen wäre, ändert nichts an der grundsätzlichen Richtigkeit dieser Behauptung. Unbestritten ist auch, dass einzelne Fotos nachgestellt waren und dass die Klägerin nicht auf diesen Umstand hingewiesen hatte. Der Tatsachenkern ist daher wahr.

6. Aus diesem Grund bestünde ein Unterlassungsanspruch nur dann, wenn die Formulierungen des Beklagten ein Wertungsexzess wären. Ob das der Fall ist, hängt von der Bedeutung des Themas ab, zu dem die Kritik geäußert wurde (6 Ob 244/02d = ecolex 2004, 446).

Die Verurteilung der Verbrechen des NS-Regimes ist ein wesentliches Element des gesellschaftlichen Konsenses in Österreich und Deutschland. In Österreich zeigt sich das insbesondere in den im Verfassungsrang stehenden Vorschriften des Verbotsgesetzes (insb § 3h VerbotsG). Umgekehrt ist die Relativierung dieser Verbrechen ein Kernpunkt der revisionistischen Geschichtsschreibung, die sich wissenschaftlich gibt und daher um so gefährlicher ist. Der Beklagte zeigt völlig zutreffend auf, dass die Verwendung bedenklicher Quellen jenen in die Hände spielt, die auch unter Hinweis auf diesen Umstand historische Tatsachen leugnen oder verharmlosen. Dieser Zusammenhang muss spätestens seit den Diskussionen um die vom Hamburger Institut für Sozialforschung veranstaltete „Wehrmachtsausstellung“ als allgemeine bekannt angesehen werden.

Faksimile aus dem Beschluss OGH 4 Ob 71/06dFaksimile aus dem Beschluss OGH 4 Ob 71/06d

Die Echtheit von Quellen zu den Verbrechen des Nationalsozialismus ist daher eine Frage von höchster gesellschaftlicher Bedeutung. An die Sorgfalt aller Beteiligten, also auch von Archivdienstleistern, sind aus diesem Grund hohe Anforderungen zu stellen. Das gilt um so mehr, als auch bei echten Quellen die gewinnbringende Verwertung in vertretbarer Weise als moralisch bedenklich angesehen werden kann, und zwar jedenfalls dann, wenn darin – wie hier – das Leid von Opfern drastisch abgebildet ist.

Diese Erwägungen rechtfertigen eine deutliche Kritik, wenn – wie hier – objektiv bedenkliche Quellen gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden. Auch die Klägerin muss es daher hinnehmen, dass ihre offenkundig mangelnde Sorgfalt mit klaren Worten kritisiert wird. Die strittigen Formulierungen wie „Geschäftemacherei“ und „Profitgier“ sind auf dieser Grundlage kein Wertungsexzess.

7. Aus diesen Gründen war die Entscheidung des Erstgerichts zur Gänze wiederherzustellen.

„Mit diesem Beschluss des Obersten Gerichtshofes, der inhaltlich eindeutig, klar und unmißverständlich ist, wurde Rechtsgeschichte geschrieben. Er bildet nicht nur eine Stütze eines wahrhaftig unabhängigen Journalismus auf höchster qualitativer Ebene, sondern beinhaltet eine richtungsweisende gesellschaftspolitische Tragweite, die deutlicher hätte nicht zum Ausdruck gebracht werden können.“ Zitat des Journalisten Walter Egon Glöckel.

Als nächster Schritt erfolgt die Anberaumung des Termins für die Verhandlung im Hauptverfahren (Verhandlung über die Klage) durch das Handelsgericht Wien. Das Provisorialverfahren ist mit dem rechtskräftigen Beschluß des Obersten Gerichtshofes nunmehr endgültig zu Gunsten des Journalisten abgeschlossen worden.

2006-07-12